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Wenn drei Filter nicht reichen: Warum wir Resonanz brauchen

  • Autorenbild: Dr. Verena Müller-Wieprecht
    Dr. Verena Müller-Wieprecht
  • 26. Sept.
  • 2 Min. Lesezeit
Ein Tropfen Wasser löst eine Welle von konzentrischen Kreisen aus.
Ein Tropfen Wasser löst eine Welle von konzentrischen Kreisen aus.

Vor ein paar Tagen bin ich auf Facebook an einem Bild hängen geblieben. Es zeigte die bekannten „drei Filter/Siebe des Sokrates“. Die Essenz der dazugehörigen Geschichte war:: Bevor man etwas weitergibt, sollte man sich fragen – Ist es wahr? Ist es gut? Ist es nützlich?


Das klingt auf den ersten Blick charmant und weise. Und doch habe ich gemerkt: Im Alltag reicht das nicht.


Denn manchmal höre ich etwas, das mich bewegt – eine Bemerkung, ein Gerücht, ein Halbsatz. Ich weiß nicht, ob es wahr ist. Ich bin unsicher, ob es gut ist. Und ob es nützlich ist, kann ich im Moment nicht erkennen. Aber eins ist klar: Es löst etwas in mir aus. Ich werde traurig, wütend, nachdenklich. Und dann brauche ich einen Ort, an dem ich das aussprechen kann. Nicht, um jemanden schlecht zu machen. Sondern damit ich Resonanz bekomme.


Genau da liegt für mich der vierte Filter: Resonanz.Die Frage ist nicht nur: „Ist es wahr, gut, nützlich?“ Die Frage ist auch: „Ist es resonant? Bewegt es etwas in mir, das gehört werden will?“


Resonanz ist etwas anderes als Diskutieren. Diskutieren – das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „zerschlagen“ (s. Info unten). Resonanz hingegen öffnet Räume. Wenn ich von Herzen spreche und jemand mir von Herzen zuhört, entsteht ein Raum, in dem etwas wahrgenommen werden darf, ohne dass es sofort bewertet oder zerschlagen wird.


In meiner Arbeit, aber auch in ganz alltäglichen Gemeinschaften, erlebe ich, wie wertvoll solche Resonanzräume sind. Da geht es nicht darum, ob etwas objektiv „wahr“ ist. Sondern darum, dass das, was gesagt wird, im Miteinander Platz hat. Dass wir hören, wie es der anderen geht. Welche Dinge auf welche Weise mit anderen in Resonanz gehen. Dass wir uns gegenseitig als Menschen wahrnehmen – mit unseren Emotionen, Verletzlichkeiten und Hoffnungen.


Vielleicht brauchen wir heute weniger Filter im Sinne von „Schweigen, wenn es nicht wahr oder nützlich ist“ – und mehr Resonanzräume. Räume, in denen wir lernen, einander zuzuhören, ohne gleich zu urteilen und eine Lösung zu haben - ohne Bewertung - ohne Kommentar - ohne Rechtfertigungsmodus - ohne Verstehen müssen. Räume, in denen wir von Herzen sprechen und von Herzen zuhören.

Denn das verändert etwas: Nicht die Gerüchte verschwinden, sondern die Distanz. Nicht die Konflikte werden kleingeredet, sondern sie werden sichtbar und benennbar und so bekommen sie die Chance, sich zu verwandeln.


Und so wird aus einem alten Dreiklang ein neuer Vierklang: Wahrheit – Güte – Nützlichkeit – und Resonanz.


Wo findest du Resonanzräume in deinem Alltag?






INFO

Wortursprung: „diskutieren“

Das deutsche Wort diskutieren stammt vom lateinischen discutere:

  • dis- = auseinander

  • quatere = schlagen, schütteln

Wörtlich bedeutet es also „auseinanderschlagen“ oder „zerschlagen“.

Im Mittellateinischen wandelte sich die Bedeutung zu „erörtern, besprechen“.

Die ursprüngliche Härte – etwas in seine Einzelteile zu zerlegen – klingt aber bis heute im Wort mit.



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